Phantasm and Concerto Melante in der Berliner Philharmonie

Wohlklang der Stimmen

Concerto Melante & Phantasm im Kammermusiksaal

So oft ist leichtfertig die Rede vom musealen Charakter unseres Musikbetriebs. Abgesehen davon, dass dieser Vorwurf im Bereich der bildenden Kunst absurd wäre und dass das Museum auch ein Ort der lebendigen Begegnung mit Kunstwerken sein kann, verstellt es den Blick darauf, dass zumindest in den großen Konzertsälen gerade keine museale Praxis herrscht. Große Teile der Musikgeschichte finden dort einfach keinen Platz. Musik von Bach bis zur Gegenwart umgibt uns pausenlos. Aber wann war im Kammermusiksaal zum letzten Mal ein Gamben-Consort zu hören, wann Musik von Dietrich Buxtehude?

Buxtehude mag als Name groß sein, bekannt jedoch ist heute allenfalls seine Orgelmusik. Und der mit nichts anderem zu vergleichende Klang eines kammermusikalischen Gamben-Ensembles existiert mehr als Mythos, denn als Realität, auch wenn es natürlich CD-Aufnahmen und Spezialisten-Festivals gibt.

Die Gambe entwickelt durch die weiten Schwingungen ihrer leicht gespannten Saiten und das im Vergleich zu den neueren Violin-Instrumenten eher obertonarme Spektrum ihre eigentlichen Qualitäten erst im Ensemble-Klang. Vor allem die englischen Komponisten des 16. und 17. Jahrhunderts waren geradezu vernarrt in diese sphärische Klangwelt, und so entstand ein bedeutendes, geistvolles Repertoire, aus dem Henry Purcells Fantasien als späte Stücke herausragen.

Aber auch Buxtehude benutzte das Gamben-Consort in seiner Kirchen-Musik. Ein erstaunliches, gelungenes Konzert führte jetzt im Kammermusiksaal beide Entwicklungslinien zusammen beim gemeinsamen Auftritt des "Concerto Melante", geleitet von dem philharmonischen Geiger Raimar Orlovsky, und der Gambisten von "Phantasm".

"Phantasm" gehört schon viele Jahre zu den wenigen international profilierten Gamben-Consorts. Seit 2016 ist das internationale Ensemble um den Amerikaner Laurence Dreyfus in Berlin ansässig. Wenn diese Musiker die fünf- oder vierstimmigen Kompositionen von Purcell, William Bird, Christopher Tye oder John Jenkins spielen, wird eindringlich erfahrbar, dass es sich hier um große Musik handelt. Der Wohlklang der ineinander fließenden Stimmen ist überwältigend, aber ebenso die kunstvolle Polyphonie, die mit einer starken Charakterzeichnung einhergeht: in den erschreckend freien Dissonanzen Purcells ebenso wie in den trommelnden Rhythmen Christopher Tyes, der Monteverdis "stile concitato" um einige Jahre vorwegzunehmen scheint.

Diese Stücke reflektieren im Konzert als Zwischenspiele die sieben kleinen Kantaten aus Buxtehudes Passionsmusik-Sammlung "Membra Jesu nostri patientis sanctissima" (Unseres geduldigen Jesus allerheiligste Glieder). Sie sind geschrieben für fünf Sänger, zwei Violinen und Basso Continuo. Ihre Verbindung von mittelalterlicher Mystik und Luthertum mag heute seltsam anmuten, vor allem aus der Perspektive späterer, historisch erzählender Passionen heraus. Es sind gebetsartige Meditationen, die die Betrachtung der Wunden Christi an den einzelnen Körperteilen durchdeklinieren, angefangen von den Füßen bis zum Gesicht.

Jede Kantate besitzt bei formaler Gleichheit ihren individuellen Ausdruck, den das "Concerto Melante" und die fünf Gesangs-Solisten sehr gut zur Geltung bringen. Am ergreifendsten ist aber jenes Stück, in dem das Herz besungen wird, und Buxtehude überraschend den Klangkörper wechselt, die Geigen und Continuo-Instrumente verstummen lässt. Nur hier setzt auch er das Gamben-Consort ein, und jeder Zuhörer dieses Abends versteht, warum.

Es sind gebetsartige Meditationen, die die Betrachtung der Wunden Christi an den einzelnen Körperteilen durchdeklinieren.

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