Zauberhafte Klangbögen

Zauberhafte Klangbögen
Das international gefeierte Gambenensemble Phantasm hat in der Sondelfinger Stephanuskirche brilliert.
24.08.2018 - Schwäbisches Tagblatt

MATTHIAS REICHERT

Renaissancemusik stand im Mittelpunkt des letzten Sommerkonzerts der Reutlinger Reihe Musica Antiqua: Eine Zeit der Neuentdeckungen und der Diesseits-Orientierung. Europa schrumpfte zum begrenzten Umriss auf der Weltkarte, die Erde stand nicht mehr im Zentrum des Kosmos wie zuvor in der mittelalterlichen Überlieferung.
Auch im England unter Königin Elisabeth I war diese Aufbruchstimmung zu spüren. Auf die Musik dieser Zeit mit ihrer Leichtigkeit und Komplexität hat sich das englische Phantasm-Ensemble spezialisiert, das nun in der vollbesetzten Sondelfinger Stephanuskirche begeistert hat. Der Name ist Programm – das 1994 von Laurence Deyfus gegründete Gamben-Ensemble ist international berühmt und tritt gewöhnlich in London, Prag, Tokio oder New York auf. Dass es jetzt nach Reutlingen gekommen ist, verdankt sich den Kontakten von Albrecht Holder, dem musikalischen Leiter der Musica Antiqua.
Gamben sind ein wenig in Vergessenheit geraten. Die zwischen die Beine geklemmten Streichinstrumente entstanden zeitgleich zur Violin-Familie und prägten die europäische Musik bis ins 18. Jahrhundert. Doch mit dem Aufkommen von Cello und Kontrabass gerieten sie ins Hintertreffen – zu Unrecht, wie das Konzert bewies.
Phantasm spielte Werke von englischen Komponisten wie Christopher Tye, Robert Parsons, William Byrd, John Jenkins und William Lawes. Das Ensemble ist mit zwei Diskantgamben sowie je einer Alt-, Tenor- und Bassgambe besetzt. Dreyfus spielte, ganz links sitzend und wie alle ganz in Schwarz gekleidet, Diskantgambe. Wer sein Mienenspiel beobachtete, bekam einen Eindruck von der Leichtigkeit, der Präzision und der Konzentration, die hinter einem solchen Auftritt steht. Die Renaissance-Stücke bestechen durch schlichte und doch elegante Melodieführung. Mit perfekter Technik und rhythmischer Präzision haben die zwei Virtuosinnen und drei Virtuosen die schwersten Läufe gemeistert, etwa in einer komplexen „Aire“ von Lawes. Die vornehmlich älteren Zuhörer vernahmen chorähnliche Kantilenen, zauberhafte Klangbögen, schwierige Tempowechsel. Manche Stücke erinnerten an höfische Rundtänze, andere breiteten elegische Schwermut aus.
Den Abschluss machten vier Fantasien des britischen Barockkomponisten Henry Purcell. Mit einer CD-Einspielung von dessen Werken hatte Phantasm 1997 das gefeierte Debüt vorgelegt – jetzt führte das Ensemble vor, wie der jung verstorbene, aber dennoch äußerst produktive Purcell seinerzeit die Stile verschmolz. Starker Applaus – leider gab das Ensemble nur eine Zugabe.

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